Perspektivwechsel II
30. Juni 2013
Ich hatte ja hier schon einmal davon gesprochen, mit welchen Problemen meine Freunde hier zu kämpfen haben und welche Erwartungen man an junge Menschen in China hat. Das sind alles Dinge, von denen ich keine Ahnung habe. Bisher waren die größten Probleme, von denen mir Freunde die Ohren volljammerten, in der Art “Geht er fremd?”, “Steht er auf mich?”, “Wen soll ich einladen?”
Und jetzt sind alle um mich herum “plötzlich” so erwachsen.
Und jetzt sind alle um mich herum “plötzlich” so erwachsen.
Ich hatte vorgestern Abend / Nacht ein Gespräch mit einer Freundin hier. Sie wird im Dezember heiraten, weil an diesem Tag – laut Wahrsager – die Sterne für die beiden gut stehen. Ihre Eltern planen alles und es wird davon ausgegangen, dass sie dem allem zustimmt, denn ‘ja’ zu einem Freund bedeutet, wenn sich beide Elternteile einig sind, auch ‘ja’ zur Hochzeit. ‘Ja’ zur gemeinsamen Wohnung, ‘ja’ zum Kind. Sie wird nach Ende des Studiums bzw. spätestens zur Hochzeit, zur Stadt ziehen, wo ihr Freund arbeitet. Die Wohnung existiert schon und wird nach und nach eingerichtet. Sie kennt dort niemanden, und hat nicht einmal Aussicht auf einen Job. Aber er arbeitet beim Militär (arbeitet hier eigentlich jeder dort?!?) und kann nichts frei entscheiden, er darf ja nicht einmal die Stadt ohne Erlaubnis verlassen. Daher habe ich ihn auch noch nie kennengelernt.
Dass meine Freundin ihn liebt, stelle ich nicht in Frage. Dass sie mit allen Plänen, die man für sie macht, einverstanden ist, schon. Da er im Militär ist, darf er nicht einmal das Land verlassen. Jeder Urlaub muss also immer erst durch einen langen Genehmigungsprozess laufen, und wenn sie mal ein Kind bekommen, dann steht auch schon fest, auf welche Schule bzw. Uni es gehen wird. Leute, die für die Regierung arbeiten, haben Privilegien, indem sie steuerliche Vorteile bekommen oder eben ihre Kinder auch mit schlechten Noten auf guten Schulen schicken können. Und was kostet das alles? Meine Freundin sagte: “ICH habe mich nicht verpflichtet. ICH möchte gerne eine Arbeit, mit der ich auch mal nach Deutschland kann. ICH will nicht, dass man mich überwacht. Doch ich habe mich für diese Liebe entschieden und werde alle Konsequenzen tragen.”
Dass meine Freundin ihn liebt, stelle ich nicht in Frage. Dass sie mit allen Plänen, die man für sie macht, einverstanden ist, schon. Da er im Militär ist, darf er nicht einmal das Land verlassen. Jeder Urlaub muss also immer erst durch einen langen Genehmigungsprozess laufen, und wenn sie mal ein Kind bekommen, dann steht auch schon fest, auf welche Schule bzw. Uni es gehen wird. Leute, die für die Regierung arbeiten, haben Privilegien, indem sie steuerliche Vorteile bekommen oder eben ihre Kinder auch mit schlechten Noten auf guten Schulen schicken können. Und was kostet das alles? Meine Freundin sagte: “ICH habe mich nicht verpflichtet. ICH möchte gerne eine Arbeit, mit der ich auch mal nach Deutschland kann. ICH will nicht, dass man mich überwacht. Doch ich habe mich für diese Liebe entschieden und werde alle Konsequenzen tragen.”
Ich fühle mich wie in einem Melodrama!
Und trotzdem ist es das Leben hier.
Währenddessen haben Yinyin und ihr Freund, der ebenfalls beim Militär war, es geschafft, ihn dort rauszuholen. Er lernt nun für den TestDAF, das ist die Deutsch-Aufnahmeprüfung für Hochschulen in Deutschland. Wenn er sie besteht, dann wollen sie gemeinsam nach Deutschland, wenn auch noch nicht sicher ist, was sie dort machen. Einen zweiten Master? Eine Studienkolleg? Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie “begeistert” seine Eltern sind: Er gibt wegen seiner Freundin eine gesicherte Arbeit auf und wird vielleicht das Land verlassen. Die Erwartungen an Yinyin sind enorm: Es wird davon augegangen, dass sie ihn ganz sicher heiraten wird, denn immerhin hat er das alles schon für sie getan. Alles andere käme gar nicht in Frage.
Eine andere Kommilitonen hat eine völlig komische Beziehung zu ihrer Eltern: Diese haben sie als Sechsjähirge bei den Großeltern gelassen, um nach Südchina zu gehen und Geld zu verdienen. Als die Großeltern krank wurden, lebte sie auf einem Internat. Ihre Eltern kennt sie nur vom Frühlingsfest, also sie sieht sie 1x im Jahr.
Dennoch ist es nun so, dass sie für sie jetzt, wo es um existenzielle Fragen geht, Entscheidungen treffen. In Hefei, der Heimatstadt der Familie, steht eine sauteure, neue Wohnung. Bezugsfertig für meine Kommilitonin und ihren Freund (den sie natürlich auch bald heiraten wird -haha). Es bedeutet, dass erwartet wird, dass sie in die Stadt zurückkehrt, obwohl sie in einer armen Provinz liegt und die Jobauswahl beschissen ist. Wenn sie in Nanjing bleibt, gibts wahrscheinlich keine Wohnung. Die Verhandlungen laufen noch, aber wie viel Verständnis kann man von einem Vater erwarten, den man siezen muss?!
Wenn ich das alles höre, stelle ich mir tausend Fragen: Wie gerechtfertigt sind die Erwartungen der Familien an ihre Kinder? Ist es richtig, dass sie das Leben ihrer Kinder mitgestalten, manchmal auch gegen den Willen dieser? Wie viel Verantwortung sollte man tragen, um die Familie zu unterstützen? Ist es egoistisch, wenn ich mir darüber keine Gedanken mache und mein Leben so gestalte, wie ich es für richtig halte- auch wenn das heißt, dass ich dabei keine Rücksicht auf meine Familie nehmen?
Ich versuche das alles zu verstehen und mich in die Lage der Beteiligten zu versetzen. Es gibt keine Rentenversicherung hier, und jeder darf nur 1 Kind haben – natürlich haben die Elten Angst, dass sie im Alter arm und einsam sterben werden. Aber ist es gut, dass sie ihre Kinder, die erst Mitte 20 sind, schon so unter Druck setzen?
Ich weiß darauf keine Antworten, aber sich allein mit diesen Themen zu beschäftigen, ist nicht nur total fremd, sondern lässt einem auch mal über Dinge nachdenken, die in unserer (deutschen) Gesellschaft oft ignoriert werden.
Familie ist immer ein zweischneidiges Schwert: Sie kann einen unterstützen, und belasten. Sie kann dir ein Zuhause geben, und dich durch Heirat in ein Fremdes verweisen. Sie gibt Rat und übt gleichzeitig Druck aus.
Ich denke, ich muss nicht erwähnen, welche Erfahrungswerte es hat, Menschen kennenzulernen, die zwar genau das gleiche studiert, und bis jetzt genau das gleiche Leben wie du geführt haben, aber auf einmal durch äußere Umstände in bestimmte Bahnen gezwängt werden, die sie vielleicht von sich aus nicht eingeschlagen hätten. Man mag es nennen, wie man will – Tradition, Kultur oder Doktrin – auf jeden Fall bringt es nichts, wenn man diese Themen für sich selbst ausblendet, denn hinter jeder Tradition stecken soziale Werte, die nicht nur für ein Land wichtig sind, sondern für jeden von uns.
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2 Kommentare
Denise K.
Ich denke es wird auch in China irgendwann einen Loslösungsprozess alter Strukturen geben. Irgendwann werden sich auch da die Kinder ihren Eltern gegenüber behaupten und lernen, dass man sich seinem Schicksal nicht zwingend fügen muss, dass es die eigene Entscheidung ist, wann man wen heiratet. Aber in einigen Ländern ist diese Entwicklung schon ewig her, andere brauchen noch ihre Zeit. Ich denke es ist wichtig, wenn Eltern ihre Kinder unterstützen, aber alles zu planen fördert weder die Selbstständigkeit, noch das Selbstwertgefühl. Traditionen sind nicht nur negativ, Familie ist schon wichtig, aber was du da beschreibst ist definitiv krass. Weil es alles so entgültig klingt, als könne sich Liebe niemals ändern und als könne Liebe nie versiegen. Und jeder weiß, dass das absoluter Nonsens ist. Und dann sollte man auch nicht wegen einem Kind zusammen bleiben oder wegen irgendwelchen Traditionen…. Das eigene Glück sollte primär im Vordergrund stehen.
Kussi
Diane
Danke für deinen Kommentar ^^