Perspektivwechsel
Eigentlich rede ich ja ständig von mir und meinem Leben, meinen Erfahrungen hier im Land der Mitte. Aber eigentlich sind es meine Mitmenschen, die mein Leben hier größtenteils gestalten und die beeinflussen natürich auch mich, indem sie von ihrem Leben erzählen, von den Ängsten und Erwartungen an ihr Leben – und an sie.
Das Leben in China ist nicht einfach.
Wenn man jetzt mal von all den ökonomischen und gesundheitlichen Faktoren absieht, dann stehen da noch vor allem die sozialen Aufgaben, die bewältigt werden müssen. Chinas Gesellschaft ist wie so ziemlich alles hier auch: widersprüchlich. Es ist bei dem Gedrängel und Geschupse auf der Straße, in Bus, U-Bahn und Ticketschalter schwer vorstellbar, dass eigentlich alle nach Harmonie streben. Die alte Frau, die sich im Supermarkt noch dreist vorgedrängelt hat, dir sogar die Ellenbogen in die Seite drückt, um schnell voran zu kommen, macht morgens bei traditionellen Klängen ihre TaiChi-Übungen und geht danach ins Teehaus, um mit ihren Senioren-Freundinnen zu quatschen. Nebenbei hütet sie ihre Enkel (verzeihung, Singular!) und predigt ihnen Strebsamkeit und Freundlichkeit – falls das Enkelkind nicht heult, denn dann bekommt es sowieso alles, was es will, denn es ist ja Einzelkind und muss daher die doppelte Aufmerksamkeit kriegen.
Die kleinen Kaiser Chinas – verzogene Quälgeister, die später wahrscheinlich zu versnobten Tyrannen werden, die den armen Bauern auf der Straße nichtmal das Centstück im Dreck gönnen.
Und dann… die Kinder, die man niemals ohne Schuluniform sieht. Die von morgens 7 Uhr bis abends 22 Uhr in der Schule oder beim Nachhilfeunterricht sitzen. Denn die Phase des Alles-bekommens ist jäh vorbei, wenn das Schulleben beginnt. Ausgleich gibt es mit materiellen Geschenken: Hier ein iPad 2 zu deinem iPad mini, solange du nur fleißig lernst. Freizeit? Wird überbewertet. Lern’ doch stattdessen eine neue Sprache! Gleich nach Englisch ab dem Kindergarten noch Deutsch, damit du – falls du zu dumm für Harvard bist – noch zur Not nach München an die Technische Universität kannst und ein guter Ingenieur wirst. Denn gebaut und geplant wird ja immer und überall hier in China. Wir wachsen und wachsen, aus dem Boden, in den Boden, in den Himmel, ins Land, ins Meer.
Überallhin.
Und Bildung ist der Schlüssel dazu – naja, oder Geld. Hast du es erst einmal durch die große Hochschulaufnahmeprüfung (高考) geschafft, dann darfst du an eine gute Uni und der Rest ist egal. Hauptsache ein Abschluss an einer Uni, die einen guten Namen hat, denn am Ende guckt niemand auf deine Noten. Und dann gehts aus der freizeitlosen, selbstaufopfernden, ermüdenden Schulzeit hinein in die nächste Runde – oder ins faule Nichtstun oder Hochzeitplanen. Die einen sind nach wie vor intelligente Studenten mit Idealen und Ehrgeiz. Sie studieren, weil sie etwas werden wollen, vielleicht im Ausland? Vielleicht einfach nur einen Job haben, der sie erfüllt. Diese Studenten sind meistens Singles, denn Zeit für Partnersuche gibt es nicht. Es sei denn, die Eltern sind engagiert genug und verkehren in den richtigen Kreisen. Dann muss man neben der Uni auch noch jedes Wochenende ein Blind Date über sich ergehen lassen, und jedes Mal sind alle ganz enttäuscht, wenn es doch nichts wird. Aber die Zeit drängt! Vor 30 sollte der Ehepartner gefunden sein und die Kinderplanung losgehen! Denn nichts ist Wichtiger im Leben, als die Heirat. Wie eine Freundin einmal sagte: “Es ist egal, ob du jemanden nur heiratest, um deinen Eltern eine Freude zu machen und dich danach wieder scheiden lässt. Hauptsache du hast schonmal geheiratet!” Wo ist denn da die Logik? Zumal eine Hochzeit in China mit das Aufwändigste überhaupt ist, denn die Eltern beider Seiten zahlen nicht nur die Hochzeit an sich, sondern die Wohnung und das Auto gibts gleich dazu. Man stelle sich mal die Beträge an, die da fließen…
China ist gerade sein persönliches Gefängnis.
Eine andere Freundin hat ähnliche Probleme, wenn auch nichts so aussichtslos. Studiert hat sie den gleichen Studiengang wie ich, 1 Jahr vor mir. Da chinesische Masterstudenten aber generell 3 Jahre studieren müssen, hat sie jetzt gerade ihre Masterarbeit abgegeben und ist auf Jobsuche. Sie ist ebenfalls Single, doch ihr Vorteil: Ihre Familie kommt vom Land. Seit sie auf eigenen Beinen steht und ihr Geld selbst mit Nachhilfegeben verdient, können ihre Eltern nicht mehr ihr Leben bestimmen, denn wen bitte schön sollen sie an ihre Tochter vermitteln? Den Sohn ihrer Nachbarn, ein ungebildeter Bauer ohne Perspektiven? Kurzum: Ihre Tochter ist zu selbstständig und zu intelligent, niemand aus dem Familien- und Bekanntenkreis kann ihr mehr das Wasser reichen.
Das ist ihr Glück.
Doch einen Freund hätte sie schon gerne… ohne Druck, ohne Erwartungen. Zeit einen zu suchen hat sie nicht, denn sie reist die ganze Woche über von einem Vorstellungs”gespräch” (in Form von Prüfungen, wo Hunderte Leute teilnehmen) zum Nächsten. Das Ergebnis: Einige Schulen hätten sie schon gerne als Deutschlehrerin, aber sie zahlen nur 3000 Yuan (380 Euro) im Monat ohne die Zusage für einen Beamtenstatus. So viel Geld verdient sie allein schon mit ihren Nachhilfeschülern und ihrer Teilzeitarbeit beim Goethe Institut – nur leider bekommt sie dafür keine Sozialversicherung oder hat andere Ansprüche. Ihr Problem ist auch: Sie weiß, wie es woanders ist. Selbst in Deutschland für 2 Jahre gelebt, kann sie sich eine Arbeit, auf der Bestechungen Alltag sind, nicht vorstellen. Als sie bei der zweiten Runde einer Eifnahmeprüfung gar nicht erst eingeladen wurde (man hatte schlichtweg “vergessen” sie zu informieren), wo sie doch die Beste gewesen war in der Vorrunde, wurde ihr klar, dass sie bei solch einer Firma nicht arbeiten wollte. Die hatte nämlich nur den Idioten zur nächsten Prüfungsrunde eingeladen, und der war zufälligerweise der Sohn eines wichtigen Vorsitzenden.
关系 – Beziehungen.
Und dann sind da noch meine Kommilitonen… alle in festen Händen. Bis auf eine. Die weigert sich jetzt sogar beharrlich nach Hause zu fahren, weil sie sich dann nur die Vorwürfe ihrer Eltern und Verwandten anhören muss. Und meine beste Freundin? Die hat gerade ihren Freund überredet seine Laufbahn auf einer Militärschule um das letzte Jahr zu verkürzen, und erhofft sich, dass sie mit ihm zusammen nach Deutschland kann. Klingt irgendwie nach Durchbrennen, oder? ^^’
Wie es weitergeht? Das erfahrt ihr vielleicht beim nächsten Mal, doch es bleibt spannend! 😀
Ein Kommentar
Juergen Wendt
Kinder und Enkel, das ist für uns ein zweifelhaftes Thema, denn kinderlos heist es immer, ihr hab keine Ahnung von Kindern, deren Erziehung etc. also haltet die Klappe. Als etwas gereifterte Personen erhielten wir nun von Eltern die Ansage : Mensch seid froh daß ihr keine Enkel habt ( dazu gehören ja bekanntlich auch erstmal Kinder, aber wir haben ja eh keine Ahnung !)