Gedanken,  Malaysia

Der (verspätet verfrühte) Jahresrückblick

Ich nenne es Jahresrückblick, um gleich zwei Sachen zu erledigen:
– Seit dem 28. August bin ich schon 1 Jahr in Malaysia (aktueller Stand: 15 Monate)
– Das Jahr 2018 geht vorbei (in 30 Tagen)
Also gleich zwei Gründe, mal zurückzublicken!

Anstatt einen langen, zusammenhängenden Text zu schreiben, hangele ich mich an einigen Themen entlang, die mich beeinflusst oder auch (wider Erwarten) nicht beeinflusst haben. Oder es immer noch tun.

Essen
Das Banale vorweg. Essen. In China war die Ernährung ein großes Problem, ständig und immer. Wenn man nicht gerade wieder die Scheißerei hatte, weil man unwissentlich Ratte am Spieß gegessen oder wiederverwendetes Öl in den Nudeln gehabt hatte, dann war man eben am Nachdenken, was einen weder fett machen noch umbringen würde. So oder so: Man sah seine Gesundheit ständig bedroht. Gibt ja Leute, die einen Magen aus Stahl haben, aber ich gehöre definitiv nicht dazu. Und hier? Mein Gott, kann das Leben entspannt sein! Iss, worauf du lustig bist. Ich habe bisher keine Bude gesehen, die mit den kellertiefen Hygienestandards in China mithalten kann. Abgesehen vom September letztes Jahr (klick hier) hatte ich wirklich keine nennenswerten Magenprobleme. Zuletzt hatte ich welche, weil ich ein Allround-Antibiotikum genommen habe (völlig umsonst, aber dazu mehr bei Gesundheit), das mir meine Darmflora zerschossen hat, aber nach 14 Tagen war ich da auch übern Berg. Allgemein kann man also sagen: Hast du ein Problem mit Untergewicht? Iss dich fett in Malaysia! Hoher Cholesterinspiegel und Diabetes gibt’s gratis dazu. Tatsächlich hat mehr als 20% Malaysias Diabetes, zumindest wissen 20% davon. Damit rangiert Malaysia weltweit ganz oben, gleich neben den arabischen Ländern, die auf der Spitze stehen (Saudi Arabien, Katar, Kuwait, Ägypten). Ich sage ja immer: Alles eine Kompensation des Alkoholverbots. Ein Bier ist halt gesünder als ein Milchshake. Sorry. Also gesund ist das Essen hier auch nicht, aber nicht wegen mangelnder Hygiene, sondern wegen des ganzen Zuckers. Zum Glück lässt sich der gut umgehen, wenn man nicht auf Sirup-Säfte, Chips, Schokolade (die nicht nach Kakao, sondern nach Palmöl schmeckt) und farbenfrohen Kuchen steht. Schmeckt sowieso alles scheußlich. Also zumindest kann ich sagen, dass ich absolut Süßigkeiten-frei lebe, von einem gelegentlichen Schokocroissant, Magnum Eis oder Karotten-Kuchen mal abgesehen. Ehrlich, habe selten SO wenig Süßkram gegessen wie hier. Malaysier hingegen stopfen den ganzen Tag Frittiertes und Gezuckertes (am besten beides gleichzeitig) in sich rein. Ich hatte letztens Frühlingsrollen knusprig frittiert, mit Zuckersirup und Chili ummantelt – WHAT?! Manchmal habe ich habe das Gefühl, ich bin nicht in Asien, sondern auf Hawaii (Stereotyp: In meiner Vorstellung sehen alle Hawaiianer aus wie Israel Kamakawiwoʻole). Aber zumindest bin ich dann nicht mehr die große, dicke Weiße wie in China, sondern nur noch die große Weiße. Da fühlt man sich doch gleich viel besser 😛

Gesundheit
Eng verbunden mit der Ernährung komme ich gleich mal zur Gesundheit. Wasser ist OK, Luft ist super und Essen… naja, man stirbt zumindest nicht sofort, sondern über die Jahre hinweg an Überzuckerung (trotz Süßgikeiten-freier Ernährung habe ich 4 Kilo zugenommen – wtf?!). Wenn ich zurückdenke, dann hatte ich eine  Erkältung, eine Blasenentzündung, ein Taucher-Ohr (immer noch nicht O.K.) und aktuell eine Rachenentzündung. Dazwischen immer mal wieder Verbrennungen von Quallen oder Rückenschmerzen dank Autofahren. Also alles harmlos!

Kultur
Also eigentlich kann man sagen, dass man hier völlig ungestört sein Leben führen kann. Man wird nicht behelligt und in nichts einbezogen. Malaien sind enorm familienzentriert und kümmert sich nicht um anderer Leute Angelegenheiten. Das gibt einem Außenstehenden viel Freiraum, der einerseits toll ist. Niemand erwartet von dir, dich in irgendetwas zu integrieren. Andererseits ist es echt frustrierend, wenn man einbezogen werden will und man einfach ständig und immer außen vor ist. Man wird nicht informiert oder eingeladen, weil man davon ausgeht, dass es dich eh nicht interessiert oder du Besseres zu tun hast. Es ist auch unter Malaien relativ untypisch, Freunde und Verwandte zu besuchen. Ab und an, meistens aber nur zu bestimmten Anlässen, aber bei jemandem grundlos aufkreuzen wird eher nicht so oft gemacht. Es ist eine merkwürdige Mischung aus exzessiven Familien-aufeinander-Geglucke und absoluter Ignoranz und Ausschluss “externer” Angelegenheiten. Ich weiß nicht genau, wo da die Grenzen sind oder ob sie nach Lust und Laune mal verschwimmen, aber sie sind defintiv vorhanden, wenn es um das Verhältnis Einheimischer – Ausländer geht. Ausländer sind definitiv raus, quasi ganz weit entfernt von der Privatssphärenskala. Dieses Phänomen ist allerdings kein Malaysia-typisches Phänomen, sondern eher ein Ostküsten-Phänomen. Ostküste hier bedeutet ländlich und streng religiös. Das scheinen zwei Kriterien zu sein, die mit Offenheit und Flexibilität unvereinbar sind – so mein Eindruck. Auf meiner Arbeit kommen die Leute eben hier aus der Gegend oder noch schlimmer: Aus Terengganu und Kelantan, zwei Gebiete, wo Scharia die Vorlage des Strafgesetzbuches sind (oder sie sogar komplett ersetzt, weiß ich nicht). Das sagt schon viel, denke ich. Weiter südlich und westlich sieht das alles schon ganz anders aus. Mein Flecken hier ist eben kein Ort, wo man mit Leuten in Kontakt kommt, daher sind meiner Aussagen alle auch auf wenige Beispiele begrenzt. Selbst die chinesische Community ist hier sehr verschlossen und teilweise sogar ganz fleißig dabei, sich von “den Anderen” abzuheben. Chinesische Kinder sagen zu meinem indischen Nachhilfeschüler: We don’t play with black kids. Als mir der 5-Jährige das sagte, hat mir echt das Herz geblutet. Rassismus ist hier zum Teil eine von Kindheit an gepflegte Einstellung, die man anscheinend haben muss, um sich als Person zu definieren. Identifikation durch Abgrenzung nach außen. Vermutlich auch so ein “ländliches” Phänomen, ist in Deutschland ja ähnlich.

Religion

Ich dachte lange Zeit, ich würde irgendwann irgendetwas VERSTEHEN vom Islam. Aber vermutlich fehlt mir dafür die geistige Erhabenheit, denn mein Verstand arbeitet leider immer noch mit Logik. Und damit kommt man nicht besonders weit, wenn es um das Thema Religion geht. Aber zum Glück erwartet hier auch niemand, dass man irgendetwas versteht oder machen soll. Die einzigen Diskussionen, die ich bisher hatte, waren mit Leuten auf der Straße, die á la Zeugen Jehovas, die für ihre Sekte Werbung machten. Die gibt’s auch unter Moslems. Wenn die da schon stehen und gezielt nach Ausländern Ausschau halten, dann auf einen zuspringen und dir einen Fragebogen unter die Nase halten, dann erwacht mein Kampfgeist und ich versuche alles daran zu setzen, dass sie keine einzige Kategorie in ihrem Fragebogen ausfüllen können (außer Frage 1: Geschlecht). Wie ich das mache? Ich beantworte artig alle Fragen, aber so, dass sie mit den Antworten nichts anfangen können. Mag ein sinnloses Unterfangen sein, aber ich finde es wunderbar, wenn ich diesen Bekloppten aufzeigen kann, dass sie ihre Kategorien einfach nicht auf mich übertragen können und dann ihre Umfrage von sich aus beenden. Also ja, über das Thema Religion kommt man in Malaysia nicht drum herum. Hier wird man einfach permanent umgeben von chinesischen Drachentänzen, hinduistischen Zeremonien oder dem Geplärre aus den Minaretten 5 Mal am Tag. Aktuell mischt sich da noch Weihnachtsmusik drunter, was irgendwie von allem die Spitze darstellt und mich so verstört, dass ich immer ganz schnell weg will. Wie auch letztes Jahr, stellt sich so gar kein Weihnachtsfeeling ein und ich denke, dass ist auch ganz gut, da ich weder frei habe noch feiere. Also, Religionen, ein Dauerthema. Aber immerhin bin ich von dem Irrglauben weg, Moslems in irgendeiner Weise irgendwie verstehen zu wollen.

Sprache

Autsch, mein wunder Punkt. Ich bin einerseits entsetzt: ich habe es geschafft, in der ganzen Zeit KEIN BISSCHEN Malaiisch zu lernen! Als Fremdsprachenliebhaberin ist das absolut unverständlich und ich frage mich oft genug, was eigentlich mein Problem ist. Bevor anklagend die Finger erhoben werden, hier meine (lahme) Rechtfertigung: Ich brauche es nicht. Jeder redet Englisch mit mir, selbst dann, wenn ich es nicht einmal provoziere, indem ich auf Malaiisch grüße. Im Gegensatz zu China, wo jeder vor Angst in eine Schockstarre verfiel, wenn er mich sah, oder gleich wegrannte, antworten die Leute einfach ohne zu zögern auf Englisch. Klar, irgendwo hier und da traf ich Menschen, die mich nur anstarrten und nicht reagierten. Passiert, stört mich aber nicht. Ich kann Hallo, Wie gehts, danke, auf Wiedersehen und bis 10 zählen. Mehr habe ich bisher nicht gebraucht. Und Straßenschilder kann ich lesen, genauso wie ich viele Gerichte kenne. Das absorbiert man nebenbei. Aber ich spreche keinen vollständigen Satz. Im September sagte ich mir dann: OK, du musst das ändern. Du hast alle Bücher hier, jetzt geh in den verdammten Kurs in der Uni und mach mit! Also habe ich mich zwischen die Araber gesetzt und wollte lernen. Wirklich. Leider wollte die Lehrerin aber nicht. Von 6 Terminen sind 4 ausgefallen und 2 davon waren Einleitung, in denen sie uns erklärte, dass wir die Kapitel zuhause lernen sollten und ihr die Antworten per WhatsApp schicken sollten. Sie würde das dann korrigieren. Und im Kurs haben wir uns Kinderlieder angehört. Danach wurde mein Stundenplan geändert und der Unterricht kollidierte mit meinem Unterricht, sodass das Thema vergessen war. Jetzt habe ich die Bücher hier und manchmal blättere ich darin herum, aber mir fehlt einfach die Motivation. Die Sprache eröffnet mir auch keinen neuen Horizont, denn ihre Struktur ist wie Chinesisch (keine Vergangenheit, keine Konjugation) und hat zusätzlich einfach unheimlich lange Wörter. Man ändert ein Nomen zu einem Verb z.B. einfach damit, indem man eine Präfix oder Suffix ansetzt. Das macht Wörter dann irgendwann einfach unglaublich lang und das will nicht in meinen Kopf, solange mich niemand zwingt, es auch anzuwenden. Vielleicht gibt’s ja irgendwann einen Grund, mich nochmal ranzusetzen. Bis dahin verbessere ich mein Englisch (bzw. kümmere mich darum, dass es nicht allzu stark ins Menglische abdriftet).

Fazit

Das Leben ist schön hier. Ich habe dem Stadtleben nun vollständig den Rücken zugekehrt und weiß nicht, ob ich jemals wieder in einem Betondschungel leben kann. Ein Wochenende in Kuala Lumpur ist das Maximum, das ich derzeit aushalte. Vor allem meine letzten Erlebnisse (folgt im nächsten Post) machen es schwer, mir vorzustellen, wo ich in Zukunft landen soll. Ich habe echt keinen Plan. Mein Job ist alles andere als prickelnd. Ich hasse meinen Chef und so ziemlich alle anderen an der Uni, und brauche immer viel viel positive Energie, um nicht den Mittelfinger zu zeigen und abzudampfen. Der Ausgleich ist eben die Umgebung hier; das Meer, die Sonne, meine Kurztrips an echt coole Ecken und auch die Möglichkeit, 2-3 Mal im Jahr wirklich irgendwohin zu reisen, wo meine Abenteuerlust voll genährt wird. Aber das ist nicht alles, oder? Man muss auch zufrieden sein mit dem, was man tut, und da suche ich noch sinnbringende Aufgaben. Wo auch immer ich die finde.

Ein Kommentar

  • Jürgen Wendt

    Ja leider ist nicht alles so wie man es sich wünschen würde, aber nur was uns nicht umbringt, macht uns stärker.

    PS. Gilt noch das Umtauschrecht für die Katzen?? Sind frech, verfressen, machen viel unsinn, also muntere Tiere.

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