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Super-Fressmaschine in Korallenriffen am Werk

Schon seit einigen Jahren wissen wir, dass Korallenriffe weltweit harte Zeiten durchmachen. Genau wie unsere Regenwälder gehören Korallenriffe zu den artenreichsten Lebensräumen der Welt. Doch Überfischung, Verschmutzung und der Klimawandel sind dafür verantwortlich, dass sich diese Lebensräume drastisch zum Negativen verändern.

Gerade im weltweit größten Korallenriff, dem Great Barrier Reef, sind die Spuren deutlich erkennbar, wenn auch vor allem durch Begleiterscheinungen der eigentlichen Veränderungen.

Eine diese Begleiterscheinung ist ein ziemlich hungriger Kollege, der in den letzten Jahrzehnten in immer kürzeren Intervallen millionenfach über die Riffe herfällt: Der Dornenkronenseestern (Engl. Crown of Thornes, kurz COT). Mit einer Größe von bis zu 40 cm Durchmesser und ausgestattet mit 6 bis 23 Armen gehört er zu den größeren Seesternarten (zum Vergleich: der größte Seestern Pycnopodia helianthoides oder auf Engl. Sunflower Sea Star kann 1 m Durchmesser erreichen). Dem Dornenkronenseestern mag man aber nicht nur wegen seiner Größe, sondern vor allem wegen seiner bis zu 5 cm langen Giftstacheln nicht zu nahe kommen. Er hat nur wenig Feinde und einen davon haben Touristen als Andenken aus dem Urlaub besonders gern: Das Tritonshorn, eine Schnecke mit einem sehr schönen Schneckenhaus, das bestimmt jeder schon einmal gesehen hat. Nur eben nie im Meer. In Malaysia zum Beispiel wurden seit Jahren schon keine mehr unter Wasser gefunden, was das explosionsartige Auftreten des Dornenkronenseesterns erklärt. Aber auch die Überfischung und Lebensraumzerstörung anderer Fressfeinde, wie des Weißflecken-Kugelfisches und des Riesen-Drückerfisches, machen dem Seestern ein sorgenfreies Leben.
Aber warum genau ist er so unbeliebt? Wie schon erwähnt, ist er groß und hungrig. Seine Leibspeise sind ausschließlich Steinkorallen, die bei der Entstehung von Korallenriffen so etwas wie das Gerüst sind, denn sie produzieren den Kalk, der die Riffstrukturen bildet. Ein einzelner Dornenkronenseestern kann in einer Nacht (sie sind nachtaktiv) ungefähr die Fläche in der Größe seines Körpers vertilgen. Das sind im Jahr ca. 13 qm an Korallenfläche.

Die Natur funktioniert ohne unser Eingreifen einwandfrei. Alles ist so aufeinander eingespielt, dass es erst gar nicht zu Ungleichgewichten kommt. Eine ausgeglichene Anzahl von Dornenkronenseesternen hat einen positiven Effekt auf das Korallensystem, denn sie verhindert, dass einige schnell wachsende Korallen eingedämmt werden, was langsamer wachsenden Korallen die Chance gibt, zu gedeihen. Doch wenn der Mensch in diese Balance eingegriffen hat, ist es für die Natur schwer bis kaum machbar, dieses Chaos wieder ins Lot zu bringen. Ist das Ökosystem erst einmal gestört, indem man eine Art dezimiert, so kommt es zu unkontrollierter Vermehrung einer anderen Art. Bei den Dornenkronenseesternen spricht man von sogenannten „Outbreaks“, in denen im schlimmsten Fall bis zu 1000 Tiere auf einem Hektar auftreten. Man kann sich das Ausmaß der Zerstörung sicherlich vorstellen. Was so ein einzelner Seestern in einem Jahr verdrückt, brauchte Jahrzehnte, um wieder nachzuwachsen. Oder Jahrhunderte. Hinzu kommt, dass ein Dornenkronenseestern für einen Seestern mit 20 m pro Stunde ziemlich schnell ist. Also, fassen wir zusammen: Groß, schnell, giftig und gefräßig. Was macht man dagegen?

Ist ein Gebiet erst einmal von Dornenkronenseesternen befallen, ist also schnelles Handeln erforderlich. Ich habe dafür die Insel Tioman im Südchinesischen Meer vor der Ostküste Malaysias besucht, die vor einigen Jahrzehnten noch stark unter den gefräßigen Seesternen gelitten hat. Und die Lage heute? Deutlich entspannter. Der Grund dafür ist aktiver Meeresschutz, der auf der Insel Tioman betrieben wird. Denn die Notwendigkeit stand außerfrage: Keine Korallenriffe = weniger Touristen. Und bei einer Insel, auf der 80 Prozent seiner Bewohner im Tourismus beschäftigt sind, wäre das ein ernstes Problem. Der aktive Meeresschutz wird von zwei Projekten gesteuert: Green Fins[1] und AWARE[2]. Für die konkrete Umsetzung ist aber jeder Einzelne gefragt, nämlich vorwiegend Taucher und Tauchtouristen. Aus dem Grunde wurden die meisten Tauchschulen auf Tioman eingewiesen, wie sie die Korallenriffe beobachten,  ihre Veränderungen dokumentieren oder sich gegen das gehäufte Auftreten von Feinden, wie den Dornenkronenseestern, wehren können.

Ich wollte wissen, wie der aktive „Kampf“ gegen die gefräßigen Seesterne konkret aussieht, und habe mich mit den Mitarbeitern und Betreibern der B&J Diving Centre getroffen, um mit ihnen über das Thema zu sprechen. Nach deren Angaben werden weltweit zwei Methoden zur Eindämmung des Dornenkronenseesterns angewandt: Entweder man holt sie mit einem Haken von den Korallen, sammelt sie in einem großen Netz und übergießt sie später mit Süßwasser, was sie umgehend tötet. Oder man injiziert mehrmals Essig in sie, wodurch sie zunächst bewegungsunfähig werden und dann sterben. Auf Tioman wird vornehmlich mit der Injektion gearbeitet. Man muss sich das Gerät wie eine Klebepistole mit langem Rohr vorstellen, durch das man an den Stacheln vorbei kommt, um das Essig zu injizieren. Das widerholt man an mehreren Stellen am Körper, es sei denn, man nutzt andere Chemikalien, die schneller wirken (z.B. Gallensäure). Essig ist auf der Insel allerdings weitaus leichter zu beschaffen. Die Taucher sagten mir, dass sie aktiv werden, wenn sie an einem Tauchspot bei einem normalen Tauchgang am Tage mehr als 5 Seesterne entdecken. Denn da sich die Wirbellosen tagsüber sehr gut verstecken, kann man davon ausgehen, dass sich noch einmal drei- oder viermal so viele von ihnen unter Korallen und Felsen befinden. Bei ihrer letzten „Säuberung“ im Juli 2018 haben sie ca. 50-60 Dornenkronenseesterne an weniger oft besuchten Tauchspots bei Tioman entdeckt und unschädlich gemacht.

Wichtig dabei ist, dass die Tauchschulen untereinander und mit den leitenden Meeresschutzorganisationen kommunizieren. Nur so kann rechtzeitig gehandelt und ein „Outbreak“ verhindert werden. Die Dornenkronenseesterne sind aus dem Grund derzeit kein Hauptproblem der Insel mehr, was leider nicht bedeutet, dass es gar keine Probleme gibt. Illegales Fischen und Plastik im Wasser sind sogenannten Dauerbaustellen.

Trotz allem ist Tioman derzeit die einzige Insel Malaysias, die eine Verbesserung ihrer Korallenriffe vorzuweisen hat. Ist ein gewisses Verständnis für die Wichtigkeit von intakten Korallenriffen erst einmal bei jedem angekommen, funktionieren Präventivmaßnahmen und aktiver Meeresschutz auch richtig gut – zum Vorteil aller Beteiligten.

Ein Beitrag für meeresbiologie-studieren.de

[1] GreenFins in Malaysia: http://greenfins.net/en/location/malaysia

[2] AWARE: https://www.projectaware.org/

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